Wie ist die Idee entstanden, ein neues Wohnquartier über der Straße zu bauen?
Schmid: Schauen wir uns die Straßen an. Überall versiegelt Asphalt städtische Flächen. Für den Wohnungsbau sind sie verloren. Gleichzeitig fehlt Wohnraum und Bauland ist knapp. Warum also nicht beides zusammen denken? Es gibt viele Kilometer Straße, die sich für eine Überbauung eignen. Mit unserem Pilotprojekt wollen wir zeigen, dass das machbar und nachhaltig ist.
Was hat Sie inspiriert und was zeichnet den Neubau aus?
Schmid: Ich habe mich mit Autobahnraststätten an Straßen beschäftigt und mich gefragt, ob man die Verfahrens- und Bauvorschriften nicht auch für die Bebauung des Luftraums über der Straße nutzen könnte. Vor sieben Jahren entstand eine erste Handskizze und der damalige Oberbürgermeister von Düsseldorf war von der Idee begeistert. Die Stadt wurde aktiv und schlug einen Straßenabschnitt für eine Überbauung vor. Aus einer Machbarkeitsstudie ist dann das konkrete Projekt entstanden. Das Besondere daran ist, dass wir nicht nur ein 300 Meter langes Wohnquartier über einer Schnellstraße planen, sondern das Bauen mit vorgefertigten Modulen und autarker Versorgung völlig neu denken.
Liebert: Das ist wirklich visionär, und wir brauchen Visionäre, die den Mut haben, neue Wege zu gehen. Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und der schonende Umgang mit Ressourcen werden immer wichtiger. Hier können wir als TGA-Ingenieure neue Lösungen entwickeln. Besonders spannend finde ich die Skalierbarkeit des Projekts. Wohnquartiere über einer Straße könnten nach dem Düsseldorfer Modell standardisiert und überall reproduziert werden. Aber nicht an jedem Standort ist die Versorgung von vornherein gegeben. Deshalb ist die Idee, das Pilotprojekt autark zu machen, besonders zukunftsweisend. Mit autark betriebenen Gebäuden können wir auch viel für die Nachhaltigkeit tun. Autarkie im großen Stil auf den Wohnbau zu projizieren, das finde ich absolut wichtig für die Zukunft.
Ballmer: Ja, wir brauchen mehr Innovationen im Wohnungsbau. Aber auch im Straßenbau könnte das Projekt Denkanstöße geben. Man könnte zum Beispiel beim Straßenbau gleich die Überbauung mit einplanen und die Fundamente vorbereiten. Ich finde es erstaunlich, dass wir mit dieser Idee wieder mit neuen Gebäuden in die Städte kommen, ohne Flächen zu versiegeln und gleichzeitig den dringend benötigten Wohnraum schaffen können.
Modulares Bauen bietet Vorteile und Herausforderungen. Wie gehen Sie damit um?
Schmid: Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass wir die Wohnungswirtschaft einmal auf links drehen wollen. Wenn es nach mir ginge, würde ich Wohnungen wie Autos bauen, in einer Fertigungsstraße oder am Fließband. Das reduziert Fehler, verbessert die Qualität massiv und beschleunigt die Bauzeit. Und Kostenvorteile bringt die automatisierte und standardisierte Vorfertigung sowieso. Die Montage der Module über einer viel befahrenen Straße ist natürlich anspruchsvoller als auf einem rundum gesicherten Gelände. Deshalb müssen wir die Baustelleneinrichtung und den Montageablauf genau im Auge behalten. Außerdem wollen wir nicht nur ein Modul, sondern ein modulares Baukastensystem anbieten, mit dem die Nutzer ihre Wohnungen individuell gestalten können. Dazu müssen wir alle Fertigteile von der Produktion, über den Transport und die Montage bis hin zum Betrieb komplett durchplanen. Insgesamt wird es wohl neun oder zehn verschiedene Zellelemente geben. Diese können so konfiguriert werden, dass Wohnungen von 30 bis 140 Quadratmetern zusammengesetzt werden können. Dabei spielt die TGA eine entscheidende Rolle.
Liebert: Auf jeden Fall! Wir konstruieren neue Lösungen für ein hochkomplexes und multiflexibles Baukastensystem. Jede Zelle muss ein Alleskönner sein. Wir müssen dafür sorgen, dass jede Einheit technisch perfekt ausgestattet ist. Die Übergabepunkte aller Leitungen wie Wärme, Klima, Strom, Fußbodenheizung, Kühlung und auch die Versorgungsschächte müssen nahtlos ineinandergreifen, egal wie die Zellen später zusammengesetzt werden. Besonders anspruchsvoll ist dies bei wasserführenden Leitungen. Neben Passgenauigkeit und Dichtheit müssen sie auch hydraulisch einwandfrei funktionieren. Dreht man eine Zelle um 90 oder 180 Grad, weil ein anderes Raumformat gewünscht wird, müssen wir diese Möglichkeiten von vornherein mit einplanen.
"Wir wollen die Wohnungswirtschaft einmal auf links drehen." Frank Michael Schmid, Dipl.-Kfm.
Was bedeutet es, ein Gebäude energetisch autark zu betreiben und wo sind neue Lösungen gefragt?
Liebert: Die TGA bietet uns schon heute viele Möglichkeiten. Wir können Sonne, Wind, Erdwärme, Abwärme, Biomasse und vieles mehr vor Ort nutzen. Ein Wohnquartier kann schon heute völlig unabhängig von fossilen Energieträgern wie Öl oder Gas betrieben werden. Anders sieht es beim Trinkwasser aus. Wir machen uns bisher viel zu wenig Gedanken über unser Grundnahrungsmittel. Wir holen es aus der immer gleichen Leitung und verschwenden es für alles Mögliche. Dabei ist Trinkwasser in anderen Teilen der Welt bereits knapp und reglementiert. Autarkie bedeutet, dass wir im Wohnungsbau ein Wassermanagement einführen, mit verschiedenen Leitungssystemen und Wasserkreisläufen, verschiedenen Auffang- und Aufbereitungsanlagen und Tanksystemen. In einer Siedlung können gut 60 bis 80 Prozent des verbrauchten Trinkwassers aufbereitet und wiederverwendet werden. Diese Möglichkeit sollte genutzt werden. Die technischen Lösungen sind vorhanden. Allerdings müssen sie vom Anlagenbau noch an die Anforderungen von Wohngebäuden angepasst werden. Für die Industrie dürfte dies schon bald ein interessanter Absatzmarkt sein.
Ballmer: Ja, die Bedeutung von autark betriebenen Gebäuden wird zunehmen. Wir prüfen immer, welchen Bedarf ein Gebäude hat und welche Quellen zur Verfügung stehen. Wenn es auf dem Grundstück keine Trinkwasserleitung gibt, suchen wir nach anderen Möglichkeiten wie Brunnenwasser oder Regenwasser. Aber auch Quellen, die normalerweise Verluste verursachen, können genutzt werden. So kann Abwasser aufbereitet und als Trink- oder Brauchwasser wiederverwendet werden. Die Anlagen, die auf Kreuzfahrtschiffen im Einsatz sind, könnten beispielsweise für den Wohnungsbau weiterentwickelt werden. Insgesamt ist die Autarkie ein großer Vorteil für die Skalierbarkeit des Pilotprojektes.
Schmid: Das sehe ich genauso. Die Kombination von Autarkie und Skalierbarkeit ist vielversprechend. Wir werden bereits von Technologieanbietern aus der Kreislaufwirtschaft angesprochen. Wenn sie neue technische Lösungen beisteuern, werden sie Teil unseres Ökosystems und dann lohnt sich das Engineering.
Liebert: Auch Hotels fragen, wie sie ihren hohen Wasserverbrauch reduzieren können und was man technisch nachrüsten kann. Diese Anlagen gibt es aber noch nicht, obwohl sie physikalisch machbar sind. Wir erwarten, dass das ein interessanter Markt wird.
Autarkie gibt es nicht zum Nulltarif. Wie rechnet sich das Konzept für die Bewohnerinnen und Bewohner?
Liebert: Ganz klar, eine Wohnung und die Nebenkosten müssen kalkulierbar sein. Preissprünge wie bei Strom und Gas können wir mit erneuerbaren Energien und autark betriebenen Anlagen grundsätzlich ausschließen. Schmid: Wir streben eine Gemeinschaft im Quartier an, die von den digitalen Möglichkeiten profitiert. Technologien wie Smart Metering, IoT und der digitale Zwilling werden helfen, den Verbrauch zu optimieren und die Verbrauchskosten zu senken. Interessant ist, dass die Bewohner sogar die Kosten ihrer Wohnfläche steuern können. Denn im Wohnquartier wird es Nutzflächen geben, die bei Bedarf hinzugebucht werden können. So braucht längst nicht jeder täglich ein Arbeits- oder ein Gästezimmer. Auch eine geräumige Küche ist kein Muss, aber manchmal eine willkommene Option. Wir verfolgen daher ein völlig anderes Mietmodell. Mit Flatrate-Preisen und Pay-as-you-use-Angeboten genießen die Bewohner maximalen Komfort und haben gleichzeitig ihre Mietkosten im Griff.
Und wie rechnet sich das Projekt für Sie als Investor?
Schmid: Die vergleichsweise hohen Entwicklungskosten rechnen sich für uns vor allem über die Skalierungsperspektive. Außerdem sind wir nicht nur Investor und Bauherr, sondern auch Betreiber. Wir werden den Gemeinschaftsgedanken und die Eigenverantwortung der Mieter fördern und das Ökosystem als Ganzes nachhaltig sichern. Es wird eine Weile dauern, bis das Ergebnis unseren eigenen, hohen Ansprüchen genügt. Aber mit der Zeit wollen wir von der Innovationsführerschaft zur Kostenführerschaft kommen.
Wann sind die Wohnungen bezugsfertig?
Schmid: Ich gehe davon aus, dass die Baugenehmigung bis Ende 2025 oder Anfang 2026 erteilt wird. Das erste Bauprojekt wird sicherlich länger dauern als Folgeprojekte. Für Düsseldorf rechnen wir mit einer Bauzeit von 15 bis 18 Monaten. Wenn alles gut läuft, könnten wir 2027 das neue Wohnquartier in Betrieb nehmen. Bei Folgeprojekten werden wir hoffentlich keine Baugenehmigung mehr brauchen, weil wir eine Typenzulassung anstreben, wie wir das vom Auto kennen. Deshalb ist es wichtig, Experten wie LIEBERT dabei zu haben. Bei einer Typenzulassung sind wir in der Beweispflicht, dass wir den definierten Leistungsstandard liefern. Und dafür brauchen wir die Expertise der Ingenieure.
Liebert: Ich freue mich jetzt schon auf den Bau und hoffentlich noch viele weitere Projekte weltweit. Und ich bin zuversichtlich, dass wir die geplante Autarkie halten können. Mit einem innovativen Wassermanagement werden wir neue Maßstäbe setzen.
"Wir brauchen Visionäre, die den Mut haben, neue Wege zu gehen." Thomas Liebert, Dipl.-Ing. (FH)
Sie verbindet ein visionäres Projekt. Was schätzen Sie an der Zusammenarbeit?
Schmid: Das Ingenieurbüro Liebert ist für uns ein echter Technologiepartner, der überraschende Lösungen vorschlägt und das Pilotprojekt entscheidend vorantreibt. Auch die Planungsarbeit mit digitalen Modellen ist bei Liebert zukunftsweisend. Und ich schätze die vielen klugen Fragen. Es hilft uns sehr, kritisch hinterfragt zu werden. Auch die Zusammenarbeit ist sehr angenehm und immer wertschätzend. Das ist mir wichtig. Wir sind zwei Partner auf Augenhöhe und unterstützen uns auf einem gemeinsamen Weg.
Ballmer: Genau, es macht einfach Spaß miteinander zu arbeiten. Und das Düsseldorfer Pilotprojekt hat für uns einen echten Wow-Effekt. Wir spüren in der täglichen Arbeit, dass dieser visionäre Auftrag begeistert und beflügelt. Wir haben hier einen Kunden, der nicht nullachtfünfzehn bauen will. Der mit völlig anderen Ansprüchen an uns herantritt. Das verlangt von uns maximale Flexibilität im Denken. Das ist nicht immer einfach, aber es motiviert ungemein und macht uns auch als Arbeitgeber interessant.
Liebert: Es ist von Anfang an spannend, an diesem visionären Projekt mitzuarbeiten. Unsere Kundenbeziehung ist, wenn ich das so sagen darf, partnerschaftlich und auf Augenhöhe. Ich schätze Herrn Schmid sehr, weil er seine Vision und Innovation lebt. Er ist bereit, Risiken einzugehen und steinige Pionierarbeit zu leisten. Ihm hier als Innovationspartner zur Seite zu stehen, ist für mich persönlich und für LIEBERT sehr wertvoll und hochinteressant. Und genau das macht uns großen Spaß.
Schmid: Ja, dem kann ich nur zustimmen. Die Zusammenarbeit ist eine Bereicherung für beide Unternehmen und macht viel Freude. Eine bessere Geschäftsbeziehung kann ich mir gar nicht wünschen.